Gott, ich danke Dir für meinen kahlen Lindenbaum

Er ist so kläglich anzusehen. Vor zwei Wochen wurde er gelb, goldgelb und dann hellbraun und jeden Tag verlor er mehr Blätter, aber diese Nacht haben ihm Sturm und Regen das letzte Laub abgerissen und nun steht er da wie gestorben und tot und wie ein schwarzes Totengerippe streckt er seine Aste in den kalten Herbstregen. Es macht nachdenklich, fast traurig, zu sehen, wie alles vergeht und verweht. Und doch, ich weiss, dass jedes Zweiglein meines Lindenbaumes jetzt schon voll Knospen ist und wenn Du den Frühling wieder ins Land schickst und die Sonne wieder länger und wärmer scheint, dann brechen diese Knospen auf, und hellgrünes, junges Laub sprosst und im Juni wird er wieder blühen und mit dem schweren, süssen Duft die langen Abende erfüllen, wie mit einer unendlichen Verheissung von schönem Leben, dass man aus lauter Überfülle fast wieder traurig werden könnte.

0 Gott, ich dank Dir für den kahlen Lindenbaum. So oft ist mein Leben so kahl und tot wie er. Darf ich nicht von ihm die Hoffnung nehmen, auch mein Leben werde doch noch einmal grünen und blühen, wenn Du mir Frühling schickst?

Franz Ch. Blum